Amerikanische Schlaganfallgesellschaft gibt wertvolle Entscheidungshilfen für die Akutbehandlung des Schlaganfalls in Grenzfällen
vom Donnerstag, 25. Februar 2016Fachgebiet: Sonstige, Neurologie, Kardiologie
Die Lysetherapie rettet seit 20 Jahren vielen Menschen mit Schlaganfall das Leben oder bewahrt sie vor schweren Behinderungen. Nach zwei Jahrzehnten Erfahrung und Millionen von Patienten weltweit wird diese Therapie häufig auch bei Patienten eingesetzt, für die sie ursprünglich nicht vorgesehen war.Die American Stroke Association hat nun zu den zahlreichen Einschränkungen der Zulassungskriterien Stellung genommen und hilft damit bei der Therapieentscheidung in Grenzfällen.
Zwar werden die meisten dieser Empfehlungen in deutschen Stroke Units bereits umgesetzt. Doch das amerikanische Statement ist eine wertvolle Argumentationshilfe für jeden Schlaganfallexperten, der vor der Entscheidung einer Off-label-Therapie steht, empfehlen die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Mehr Zeit fürs Hirn: Behandlungsfenster erweitert
Die meisten Schlaganfälle werden durch ein Blutgerinnsel ausgelöst, das eine Hirnarterie verstopft. Das Enzym Alteplase (rtPA) kann den Pfropf auflösen und die Durchblutung wiederherstellen. Die Lysetherapie, die 1996 zunächst in den USA und bald darauf in Deutschland eingeführt wurde, ist allerdings an bestimmte Bedingungen geknüpft. Die Ärzte müssen zunächst sicherstellen, dass der Schlaganfall nicht Folge einer Blutung im Gehirn ist. Eine Lysetherapie wäre hier ein fataler Fehler. Außerdem muss die Behandlung möglichst schnell nach dem Schlaganfall erfolgen, um erfolgreich zu sein. „Die maßgebliche Studie, die vor zwei Jahrzehnten den Nutzen der Therapie belegt hatte, hat ein enges Zeitfenster von drei Stunden gesetzt“, erläutert Professor Dr. med. Joachim Röther, Chefarzt an der Asklepios Klinik in Hamburg-Altona. Dieses Zeitfenster wurde inzwischen auf 4,5 Stunden ausgedehnt, nachdem spätere Studien die Wirksamkeit und Sicherheit belegt hatten.
Off-label heute häufig indiziert
„Andere Einschränkungen blieben jedoch bestehen und die Zulassungskriterien schließen Patienten über 80 Jahre, solche mit stark erhöhten Blutzucker- oder Blutdruckwerten und viele andere von der Lysetherapie aus“, erläutert DSG-Pressesprecher Röther: Die Fachinformationen enthalten eine lange Liste von Gegenanzeigen, die bei vielen Patienten eine Therapie verhindern. Professor Röther: „Ein gutes Drittel der Schlaganfallpatienten erreicht die Klinik im Zeitfenster von 3 Stunden, doch nur etwa 12 Prozent werden mit einer Thrombolyse behandelt.“
Die Ärzte dürfen sich über die Gegenanzeigen des Beipackzettels (Label) hinwegsetzen und das Mittel damit „off-label“ anwenden. Sie müssen dies aber gut begründen können und möglichst das Einverständnis des Patienten einholen, was bei einem schweren Schlaganfall oft nicht möglich ist. Eine wichtige Argumentationshilfe liefert jetzt ein Positionspapier der American Stroke Association. Die US-Fachgesellschaft setzt sich darin ausführlich mit den Gegenanzeigen einer Thrombolyse auseinander und gibt Behandlungsempfehlungen.
Es lohnt sich! Auch alte Patienten können lysiert werden
„Viele Gegenanzeigen entpuppten sich in den letzten beiden Jahrzehnten als Mythos“, sagt Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie am Uniklinikum Essen, „und die wissenschaftliche Evidenz hinter vielen Ausschlusskriterien ist oftmals dünn". Die wichtigste Erweiterung betrifft die Altersgrenze von 80 Jahren. „Hochbetagte Menschen erleiden häufig einen sehr schweren Schlaganfall“, sagt Professor Diener, der Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine Lysetherapie keine Wirkung mehr erzielt. Professor Diener: „Die Beweislage ist eindeutig und die neue Empfehlung ist klar. Die Lysetherapie kann ohne Altersgrenze nach oben zum Einsatz kommen.“
Von der Lysetherapie sollten laut Statement auch Schwangere oder Patienten nach einer vorangegangenen Magenblutung nicht generell ausgeschlossen werden. Genauso wenig sprechen eine kürzliche Operation, Herzinfarkt oder Krebs notwendigerweise gegen eine Lysetherapie, auch wenn das Blutungsrisiko erhöht sein kann und die Therapieentscheidung hier immer individuell abgewogen werden muss.
Entscheidungshoheit liegt beim Ärzteteam
Die amerikanischen Empfehlungen bieten auch in ungewöhnlichen Situationen, etwa einem Schlaganfall im Kindesalter, wichtige Entscheidungshilfen. Dennoch bleibt die Therapie immer eine Ermessensfrage. Ein Beispiel sind leichte Schlaganfälle. „Bei vielen Patienten ist bereits vor der Infusion eine Tendenz zur Verbesserung erkennbar“, so Professor Diener. Solange allerdings weiterhin Lähmungen oder andere leichte Schlaganfallsymptome vorhanden sind, sollte auch in dieser Situation eine Lysetherapie erfolgen, findet der Experte.
Für beide Experten ist klar: Dieses Konsensuspapier bietet zu vielen Grenzfragen der Thrombolyse wichtige Empfehlungen und wird ein wertvoller Ratgeber in der klinischen Praxis auf den Stroke Units werden. Die Endverantwortung liegt jedoch immer beim behandelnden Ärzteteam und hängt wesentlich von dessen Erfahrungshorizont ab. Und eines sollte auch nicht vergessen werden: Bestehen bei einem Patienten mit einem sehr schweren Schlaganfall Zweifel an der Sicherheit der gerinnselauflösenden und blutverdünnenden Thrombolyse, dann gibt es seit kurzem immer noch die Möglichkeit der mechanischen Rekanalisation: Anstatt es medikamentös aufzulösen, wird der Thrombus mit einem Spezialkatheter (Stent-Retriever) aus dem Hirngefäß gezogen.
Gemeinsame Presseinformation der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vom 23. Februar 2016
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