Atemwegsbakterium als Auslöser für schwere Nervenkrankheit entlarvt
vom Donnerstag, 03. November 2016Fachgebiet: Neurologie, Pneumologie
Mykoplasmen sind nicht nur verantwortlich für Atemwegsinfektionen wie Lungenentzündungen bei Kindern und Erwachsenen, sondern können auch das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) verursachen.
Bakterien, die häufig Lungenentzündungen hervorrufen, können auch das so genannte Guillain-Barré-Syndrom (GBS) auslösen – eine autoimmunbedingte, akute und lebensbedrohliche Erkrankung der Nerven. Betroffene entwickeln eine allgemeine Schwäche, zunehmende Lähmungen an Armen und Beinen sowie Empfindungsstörungen. Sind auch die Atem- und Schluckmuskulatur von Lähmungserscheinungen betroffen, kann GBS lebensbedrohlich werden. Bei etwa einem Fünftel der Patienten kommt es zu dauerhaften Funktionsausfällen, bei rund fünf Prozent der Fälle führt die Krankheit zum Tod. Verantwortlich dafür sind Antikörper, die nicht nur die Bakterien, sondern gleichzeitig die Hülle der körpereigenen Nervenzellen angreifen. Das haben Forscher der Universität Zürich, des Kinderspitals Zürich und der Erasmus Universität Rotterdam jetzt nachgewiesen, indem sie Mykoplasmen der Art Mycoplasma pneumoniae von einem GBS-Patienten im Labor kultivierten (siehe Annals of Neurology, Online-Veröffentlichung am 1.10.2024).
Ausschlaggebend für den Angriff der Nervenhüllen ist die große Ähnlichkeit zwischen Strukturen auf der Oberfläche der Bakterien und körpereigenen Strukturen der Nervenscheiden. Diese führt dazu, dass sich die Immunabwehr sowohl gegen die Mykoplasmen als auch gegen die umhüllende Myelinschicht von Nervenbahnen richtet. „Dabei handelt es sich um Antikörper, die ein bestimmtes bakterielles Glykolipid erkennen: ein Zucker-Fett-Molekül, das auf der Zellmembran der Erreger sitzt. Diese Antikörper binden gleichzeitig an Galactocerebrosid (GalC), einer der häufigsten Bausteine im menschlichen Myelin“, erklärt Patrick Meyer Sauteur, Erstautor der Studie. Diese fettreiche Substanz stellt die elektrische Leitfähigkeit der Nervenfasern sicher. Wird sie zerstört, kommt es zu Lähmungen an Armen und Beinen, Schwäche und Empfindungsstörungen.
Bereits zuvor wurden bei GBS-Patienten vereinzelt Antikörper gegen GalC nachgewiesen. Auch bei dem in der Studie untersuchten Patienten fanden sich solche Antikörper, deren Konzentration im Blut direkt mit dem Krankheitsverlauf korrelierte. Tatsächlich reagierten die Anti-GalC-Antikörper in immunologischen Tests am stärksten mit dem vom Patienten entnommenen und im Labor kultivierten Bakterienstamm. Auch weitere Mykoplasmen-Stämme reagierten, wenn auch schwächer, wohingegen andere Bakterienarten nicht erkannt wurden. Somit war der Nachweis der Kreuzreaktivität des Antikörpers erbracht.
Insgesamt untersuchten die Forschenden 189 Erwachsene und 24 Kinder mit GBS auf das Vorhandensein von Antikörpern gegen Mykoplasmen (als Hinweis auf eine kürzlich zurückliegende Bakterieninfektion) und GalC (als vermuteter Auslöser von GBS), die sie mit einer Kontrollgruppe von 677 Personen verglichen. Dabei fand sich bei 3 Prozent der Erwachsenen und 21 Prozent der Kinder eine kürzliche Mykoplasmen-Infektion – häufiger als bei den gesunden Kontrollpersonen. Nahezu gleich häufig ließen sich im Blut Antikörper gegen GalC nachweisen: bei 3 Prozent der Erwachsenen und 25 Prozent der Kinder. Und auch diese reagierten mit mehreren Bakterienstämmen.
Interessanterweise fanden sich Anti-GalC-Antikörper auch bei Patienten ohne GBS, die kurz zuvor mit Mykoplasmen infiziert wurden. Allerdings waren diese ausschließlich vom Antikörper-Typ Immunglobulin M (IgM), dem im Verlauf einer Immunantwort am frühesten gebildeten Typ. Die Anti-GalC-Antikörper bei GBS-Patienten waren dagegen vom Typ IgG. „Wir vermuten daher, dass dieser Wechsel des Antikörper-Typs für die Entstehung von GBS mitverantwortlich ist“, erläutert Meyer Sauteur. „Auch bei anderen Autoimmunkrankheiten nimmt man an, dass ein solcher Wechsel des Antikörper-Typs die Erkrankung verursacht. Dagegen gerichtete Immuntherapien sind daher ein neuer möglicher Ansatz, um GBS wirksam behandeln zu können.“
Quelle: Universität Zürich
Pressemeldung vom 28. Oktober 2016, www.lungenaerzte-im-Netz.de
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