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Berufliche Wiedereingliederung psychisch Kranker be sser unterstützen

vom Donnerstag, 21. Januar 2016
Fachgebiet: Sonstige, Pneumologie, Neurologie, Kardiologie, Diabetes

Patienten mit psychischen oder neurologischen Erkrankungen benötigen mehr Hilfe, um nach längerer krankheitsbedingter Abwesenheit wieder in den Beruf einzusteigen. „Im Augenblick wird das Ziel ‚return to work‘ leider oft verfehlt und die Patienten werden zu häufig frühzeitig berentet“, kritisiert der Vorsitzende des Spitzenverbandes ZNS (SPiZ), Dr. med. Frank Bergmann. Sie könnten dann nur noch eingeschränkt am beruflichen und sozialen Leben teilhaben. „Das kann auf Dauer ihre Grunderkrankung verschlechtern und ist außerdem volkswirtschaftlich ein großer Verlust“, so Bergmann. Er weist daraufhin, dass Fachärzte für Psychiatrie, Neurologie oder Nervenheilkunde Patienten und Betriebe kompetent bei der beruflichen Wiedereingliederung unterstützen können. Nach aktuellen Zahlen der DAK Gesundheit verursachen allein Depressionen, Angststörungen oder Erschöpfungssyndrome in Deutschland dreimal so viele Fehltage wie vor 15 Jahren – Tendenz steigend.
Eine neue Erhebung der Betriebskrankenkassen (BKK) bestätigt: Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Ursachen für lange Krankschreibungen. Die Betroffenen fehlen durchschnittlich 37 Tage, die Langzeiterkrankten unter ihnen sogar durchschnittlich 185 Tage. „Besonders kleinere Unternehmen brauchen mehr Unterstützung bei der dann  nötigen Wiedereingliederung“, betont Bergmann mit Blick auf die neuen Daten: Laut dem BKKGesundheitsreport sind in Kleinstunternehmen bis neun Beschäftigte fast die Hälfte aller Fehltage (49 Prozent) mit Langzeiterkrankungen verbunden. Diese Quote liegt in  Großunternehmen rund zehn Prozent niedriger. Zudem fehlen die Langzeitfälle in kleinen Unternehmen im Schnitt drei Kalenderwochen länger als in Betrieben mit vielen Mitarbeitern. „Größere Unternehmen verfügen meist über eine effektivere betriebliche Gesundheitsförderung und über ein wirksames betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)“, erläutert Bergmann. Es sei dringend nötig, das BEM auch in kleinen und mittleren Firmen zu verbessern, so der Vorsitzende des SPiZ. „Die Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Nervenheilkunde vor Ort stehen für das BEM in kleineren und mittleren Unternehmen bereit“, betont Dr. med. habil. Paul Reuther, Leiter eines ambulanten neurologischen Rehabilitationszentrums und ehemaliges Vorstandsmitglied des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte. „Es müsste sich regional im Dreieck Patient-Arbeitgeber-Facharzt eine neue Kultur der Zusammenarbeit entwickeln, an der auch die Berufskammern mitarbeiten sollten, also Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer sowie Ärztekammer“, so Reuther.
Die stufenweise Wiedereingliederung in den Beruf – auch Hamburger Modell genannt – soll Arbeitnehmern nach längerer Krankheit den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt erleichtern. Der Arbeitnehmer bleibt während der Zeit krankgeschrieben. Er erhält daher grundsätzlich Krankengeld von der Krankenkasse beziehungsweise ein Übergangsgeld vom Rentenversicherungsträger (oder der Berufsgenossenschaft oder der Agentur für Arbeit).
Der Arzt stellt in Absprache mit dem krankgeschriebenen Arbeitnehmer einen Plan für die Wiedereingliederung auf, der auch mit dem Arbeitgeber abgestimmt wird. Der Patient arbeitet zunächst nur wenige Stunden pro Tag. Nach und nach steigert sich die tägliche Arbeitszeit. Die stufenweise Wiedereingliederung dauert je nach Situation des Patienten
zwischen sechs Wochen und einem halben Jahr. „Sinnvollerweise sollten sich der behandelnde Psychiater, Nervenarzt oder Neurologe, der Betriebsarzt – bei kleineren Unternehmen der Arbeitgeber selbst – und der Patient auch darüber abstimmen, wie der  Arbeitsplatz gestaltet ist und die Arbeit abläuft“, empfiehlt Bergmann. Denn Patienten mit psychischen oder neurologischen Erkrankungen seien während der Wiedereingliederung wegen ihrer krankheitsbedingten aber überwindbaren Minderbelastbarkeit in besonderer Weise auf eine individuelle Beratung und Begleitung angewiesen. „Begleitung kommt im Augenblick oft zu kurz. Die Patienten sind häufig sich selbst überlassen und daher überfordert“, erläutert der Vorsitzende des SPiZ. Die Möglichkeit, noch vor Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung eine Belastungserprobung am Arbeitsplatz durchzuführen, wird derzeit nur selten realisiert. Auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sollten häufiger als Hilfe bei den Kostenträgern beantragt und dann eingesetzt werden, so Bergmann.
Der Verband fordert daher, dass Fachärzte für Psychiatrie, Neurologie oder Nervenheilkunde die Patienten engmaschiger betreuen können. Außerdem sollten sie mit Zustimmung des Patienten die Arbeitgeber beraten können – wenn möglich in enger Abstimmung mit den Betriebsärzten. Dabei geht es um Betriebsabläufe und um die Gestaltung des Arbeitsplatzes sowie oft um Umgang mit Minderbelastbarkeit. Allerdings müssen die Kostenträger diese Begleitleistungen – Beratung, Koordination, Supervision oder Coaching – angemessen honorieren. Bisher wird dieser Mehraufwand für die Fachärzte nicht vergütet. „Denkbar wäre hier auch eine Mischvergütung durch Kostenträger und Arbeitgeber“, schlägt Reuther vor. „Von einem verbesserten Wiedereingliederungsmanagement profitieren der Patient und der Arbeitgeber gleichermaßen. Und mittelfristig auch die Kostenträger“, ist Bergmann überzeugt.

Pressemeldung vom 12. Januar 2016, Spitzenverband ZNS

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